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Tatort Wyna

21.05.2025


Was hat scharfe Zähne, liebt feuchte Böden und krempelt ganze Lebensräume um? Die Antwort liegt näher, als man denkt.

Gefällte Bäume, Totholzhaufen, abgenagte Äste. Wir befinden uns hinter dem Bahnhof Gränichen, Seite Wynawegli, am Ufer der Wyna. Schleifspuren sind ebenfalls zu sehen! Doch der Wiederholungstäter hält sich weiterhin bedeckt und lässt sich nicht blicken. Ziemlich sicher dämmerungs- und nachtaktiv. Andernorts, sagt man, sollen Gleichgesinnte ebenfalls ihr Unwesen treiben – und zwar noch in viel erschreckenderem Ausmass! Ganze autobahnbreite Waldschneisen gingen schon auf ihr Konto. Nachahmungstäter gäbe es unter anderem entlang des Aareufers anzutreffen. Diese könne man jedoch anhand der Schnurrhaarfarbe, Zahn- und Körpergrösse als Täter ausschliessen.

Beschrieben wird natürlich das Werk vom Biber, unserem geschützten und grössten einheimischen Nagetier. Doch ist das, was «Meister Bockert» - in Fachkreisen auch Castor fiber genannt - anrichtet, wirklich so dramatisch oder bringt es sogar positive Aspekte mit sich?

Was auf den ersten Blick nach mutwilliger Zerstörung aussieht, bringt auf den zweiten oft mehr Nutzen als Schaden. Genau darüber informierte kürzlich Valentin Moser, Doktorand an der eidgenössischen Forschungsanstalt WSL/Eawag, eine wetterfeste Zuhörerschaft bei einem Anlass des Natur- und Vogelschutzvereins Gränichen und des Obst- und Gartenbauvereins.

Ein Ökosystem-Ingenieur mit Biss

Der Biber liebt Weichhölzer wie Weide und Pappel, futtert sich aber auch durch Mais und Raps – sehr zum Missfallen der Landwirte. Im Winter steht hauptsächlich Rinde auf dem Speiseplan. Seine Nagespuren sind unverkennbar: sauber schräg angeschnittene Äste mit den typischen Rillen seiner eisenverstärkten Schneidezähne. Anhand der Grösse der Spuren kann man sogar abschätzen, ob mehrere Tiere in der Gegend aktiv sind – CSI auf Biber-Art.

Als wahrer Landschaftsarchitekt schleppt er Baumstämme, baut Dämme, gräbt Kanäle – und gestaltet damit ganze Landschaften um. Und das nicht etwa aus reiner Freude an der Zerstörung, sondern mit entscheidenden Folgen für die Artenvielfalt: Wo der Biber tätig wird, entstehen neue Lebensräume. Tümpel, Altwasserzonen, Staubereiche – all das bietet Unterschlupf für unzählige Arten. Der Eisvogel bedankt sich, ebenso wie die Grasfrösche. Sogar mehr Fledermäuse werden in Bibersystemen gesichtet. Warum genau, ist noch nicht abschliessend geklärt. Vielleicht liegt es an den stehenden Totholzstrukturen, vielleicht an mehr Insekten. Sicher ist: Der Biber macht was her – nicht nur mit seinem imposanten Gewicht (er kann schwerer werden als ein Reh!), sondern auch als Ökosystem-Booster.

Zwischen Naturschutz und Maisfeld

Natürlich gibt es auch Schattenseiten. Schäden an Infrastrukturen wie Wegen oder Drainagen können ins Geld gehen, Konflikte mit Landwirtschaftsbetrieben sind an der Tagesordnung. Wer will schon zusehen, wie der Maisacker über Nacht zur Biber-Futterkrippe wird? Möglichkeiten zum Schutz gäbe es: Maschendraht am Ufer, elektrische Zäune oder sogenannte Beaver Deceivers – Vorrichtungen, die den Wasserstand künstlich regulieren und so Biberdämme unattraktiv machen.

Trotzdem stellt sich die Frage: Was hat für uns langfristig mehr Wert? Ein unversehrtes Maisfeld – oder ein vielfältiges Ökosystem, das Dutzenden Arten ein Zuhause bietet?

Ein Rückkehrer mit Geschichte

Der Biber war in der Schweiz 150 Jahre lang verschwunden. Ausgerottet. Heute ist er fast überall wieder heimisch – nur im Tessin fehlen noch seine Spuren. Doch auch dort dürfte es nur eine Frage der Zeit sein. Der Platz wird knapp: Rund 50 % der geeigneten Reviere seien laut Experten bereits besetzt. Kein Wunder also, dass auch suboptimale Gebiete wie die kanalisierten Abschnitte der Wyna besiedelt werden. Zwar bietet der Fluss wenig Weichholz und wird bei Starkregen schnell reissend, doch der Biber scheint pragmatisch – und hart im Nehmen.

Fazit

Man kann ihn als Plage sehen. Oder als Pionier. Sicher ist: Der Biber ist gekommen, um zu bleiben. Und er tut mehr für die Biodiversität, als so mancher realisiert. Vielleicht sollten wir also öfter mal stehen bleiben, die Nagespuren bestaunen – und uns fragen, wie viel wir einem pelzigen Baumeister zu verdanken haben, der sich klammheimlich wie ein Heinzelmännchen in der Dämmerung an unsere Flussufer schleicht.





 
 
 

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